5.2 Bohrsches Atommodell


Bezug zum Kerncurriculum:

  • Ich kann die Quantisierung der Gesamtenergie von Elektronen in der Atomhülle erläutern.
  • Ich kann die Gleichung für die Gesamtenergie eines Elektrons in diesem Modell nennen.
  • Ich kann die Energieniveaus von Wasserstoff und von wasserstoffähnlichen Atomen (eA) mit der Balmerformel berechnen.

Das klassische Rutherford-Atommodell betrachtet das Elektron und das Proton als kleine geladene Kugeln. Nachdem klar wurde, dass das Rutherford-Modell die Messdaten von Experimenten mit Atomen nicht geeignet modelliert, arbeiteten die PhysikerInnen an einer Weiterentwicklung eines geeigneten Atommodells. Bohr entwickelte 1913 ein Atommodell, bei dem er versuchte, das klassische Modell mit den Messdaten in Einklang zu bringen.

Die Experimente haben gezeigt, dass ein Wasserstoffatom nur Photonen mit bestimmten Wellenlängen emittiert. Bohr legte fest (postulierte), dass ein Elektron im Wasserstoffatom nur bestimmte erlaubte Energiezustände haben kann. Er postulierte weiter, dass ein Elektron in einem erlaubten Zustand keine Energie abstrahlt, sondern dass nur beim Übergang zwischen zwei erlaubten Zuständen Energie abgestrahlt wird. In seinem Modell von 1913 übernahm Bohr die Energieniveaus aus den Experimenten und entwickelte eine Formel, um diese berechnen zu können. Es blieb aber unklar, warum nur solche erlaubten Energiebahnen im Atom vorhanden sind.

In diesem Kapitel wird Ihnen ein erweitertes Mischmodell vorgestellt, bei welchem die Bohrschen Postulate bereits quantenphysikalisch begründet werden. Einige Jahre nachdem Bohr sein Atommodell entwickelt hatte, stellte Louis de-Broglie die Hypothese auf, dass man einem Elektron eine Wellenlänge zuordnen kann:

\[ \lambda_e = \frac{h}{p}\]

Nimmt man an, dass das Elektron kein klassisches Teilchen ist, sondern mit einem Wellenmodell beschrieben wird, dann kann die Modellwelle, welche ein Elektron modelliert, nur dann eine feste Wellenlänge und wegen \(E = h \cdot \frac{c}{\lambda}\) eine feste Energie haben, wenn die Modellwelle auf den Kreisumfang passt. Nur wenn die dem Elektron zugeordnete Wellenlänge \(\lambda\) ein ganzzahliges Vielfaches des Umfangs \(u = 2 \cdot \pi \cdot r\) ist, kann die Modellwelle einen stabilen Zustand als stehende Welle haben.

Übertragen auf das Wellenmodell kann man weiter festlegen, dass ein Energiezustand stabil ist, also keine Energie abgestrahlt wird, wenn die dem Elektron zugeordnete Modellwelle eine stehende Welle ist. Es gilt dann die Bedingung für eine stehende Welle auf einer Kreisbahn:

\[ n \cdot \lambda = 2 \cdot \pi \cdot r_n\]

mit \(n\) = 1, 2, 3,... wobei \(n\) Hauptquantenzahl genannt wird. Mit dieser Bedingung kann man die erlaubten Energiewerte eines Elektrons im Wasserstoffatom modellieren. Im folgenden werden die Bohrschen Postulate formuliert, ergänzt mit der de-Broglie-Hypothese, dass man Elektronen als Elektronenwellen modellieren kann:

Postulat 1:

Ein Elektron kann sich nur auf bestimmten erlaubten Kreisbahnen um das Proton im Atomkern bewegen. Jeder erlaubten Bahn entspricht ein bestimmter Energiewert: das Energieniveau. Jedes erlaubte Energieniveau wird mit einer ganzen Zahl 1, 2, 3, 4,..., der sogenannten Quantenzahl n, bezeichnet. Manchmal werden zur Bezeichnung auch die Buchstaben K, L, M, N,... verwendet und die Energieniveaus werden dann Schalen genannt. Das Elektron hat die geringste Energie in einem Atom, wenn es sich auf der Bahn mit der Quantenzahl n = 1 befindet (entspricht der K-Schale).

Postulat 2:

Auf den erlaubten Energieniveaus bzw. Schalen kreist das Elektron strahlungsfrei (ohne Energieverlust) und mit einer konstanten Bahngeschwindigkeit \(v_n\) im Abstand \(r_n\) um den Atomkern. Eine erlaubte Geschwindigkeit \(v_n\) des Elektrons kann aus der Quantenbedingung \(n \cdot \lambda = 2 \cdot \pi \cdot r_n\) und der dem Elektron zugeordneten Wellenlänge \(\lambda = \frac{h}{m_e \cdot v_n}\) berechnet werden.

\[ v_n = \frac{{n \cdot h}}{{2 \cdot \pi \cdot {r_n} \cdot {m_e}}}\]

Postulat 3:

Das Elektron absorbiert oder emittiert Energie nur beim Übergang von einem erlaubten Energieniveau in ein anderes erlaubtes Energieniveau (Quantensprung). Das Elektron kann keine Photonen absorbieren oder emittieren, wenn es bei der Aufnahme oder Abgabe eine Energie hätte, die keinem erlaubten Energieniveau entspricht. Um ein Elektron von einer inneren Bahn \(m\) auf eine weiter außen liegende Bahn \(n\) zu bringen, muss Arbeit gegen die elektrostatische Anziehungskraft zwischen positiv geladenem Kern und negativ geladenem Elektron geleistet werden. Deswegen wird dazu ein Energiebetrag \(E = h \cdot f\) nötig, welcher der Differenz der Energieniveaus \(E_n - E_m\) entspricht. Wenn ein Elektron von der Bahn \(n\) auf die Bahn \(m\) zurückfällt, wird derselbe Energiebetrag \(E = h \cdot f\) in Form eines Photons frei:

\[ \Delta E = E_n - E_m = h \cdot f\]

In diesem Mischmodell spricht man noch von einer "Elektronenbahn" und vom "Springen" eines Elektrons von einer Bahn zu einer anderen Bahn. Die quantenphysikalische Modellierung, einem Elektron eine Wahrscheinlichkeitswelle zuzuordnen, spielt hier noch keine Rolle. Das folgt erst im nächsten Kapitel, wenn das quantenphysikalische Modell vorgestellt wird.

Aus den Bohrschen Postulaten kann man im halbklassischen Modell die erlaubten Energien des Elektrons berechnen. Mit dem klassischen Ansatz, dass die Coulombkraft \(F_C\) das Elektron auf seiner Bahn hält, kann die Coulombkraft als Zentripetalkraft \(F_\rm{ZP}\) aufgefasst werden:

\[ \begin{align} F_\rm{C} &= F_\rm{ZP} \\ \frac{1}{{4 \cdot \pi \cdot {\varepsilon _0}}} \cdot \frac{e^2}{r_n^2} &= \frac{m_e \cdot v_n^2}{r_n} \\ v_n^2 &= \frac{1}{4 \cdot \pi \cdot \varepsilon_0} \cdot \frac{e^2}{r_n \cdot m_e} \end{align}\]

Setzt man für \(v_n\) die Quantenbedingung \(v_n = \frac{{n \cdot h}}{{2 \cdot \pi \cdot {r_n} \cdot {m_e}}}\) aus dem 2. Postulat ein, folgt:

\[ \begin{align} \left( \frac{n \cdot h}{2 \cdot \pi \cdot {r_n} \cdot {m_e}} \right)^2 &= \frac{1}{4 \cdot \pi \cdot \varepsilon_0} \cdot \frac{e^2}{r_n \cdot m_e} \end{align}\]

Diese Gleichung löst man nach \(r_n\) auf, um die erlaubten Radien für das Elektron zu berechnen:

\[ \begin{align} \left( \frac{n \cdot h}{2 \cdot \pi \cdot {r_n} \cdot {m_e}} \right)^2 &= \frac{1}{4 \cdot \pi \cdot \varepsilon_0} \cdot \frac{e^2}{r_n \cdot m_e} \\ \frac{n^2 \cdot h^2}{4 \cdot \pi^2 \cdot r_n^2 \cdot m_e^2} &= \frac{1}{4 \cdot \pi \cdot \varepsilon_0} \cdot \frac{e^2}{r_n \cdot m_e} \\ \frac{n^2 \cdot h^2}{\pi \cdot r_n \cdot m_e} &= \frac{e^2}{\varepsilon_0} \\ r_n &= \frac{n^2 \cdot h^2 \cdot \varepsilon_0}{\pi \cdot m_e \cdot e^2} \\ \end{align}\]

Setzt man in diese Gleichung die Werte der Konstanten ein, erhält man für die Hauptquantenzahl \(n = 1\) den sogenannten 1. Bohrschen Radius:

\[ \begin{align} r_1 &= \frac{1^2 \cdot h^2 \cdot \varepsilon_0}{\pi \cdot m_e \cdot e^2} \\ r_1 &= \frac{1^2 \cdot (6,62607 \cdot 10^{-34} \, \rm{Js})^2 \cdot 8,85419 \cdot 10^{-12} \, \rm{\frac{As}{Vm}}}{\pi \cdot 9,109384 \cdot 10^{-31} \, \rm{kg} \cdot (1,602177 \cdot 10^{-19} \, \rm{C})^2} \\ r_1 &= 5,291771 \cdot 10^{-11} \, \rm{m} \end{align}\]

Der so berechnete Radius passt zur Größenordnung eines Atoms, der durch Versuche wie dem Ölfleckversuch gefunden wurde. Setzt man die Formel für den Bohrschen Radius \(r_n = \frac{n^2 \cdot h^2 \cdot \varepsilon_0}{\pi \cdot m_e \cdot e^2}\) in die Energieformel von Rutherford \(E_{\rm{ges}}(r) = - \frac{e^2}{8 \cdot \pi \cdot \varepsilon_0 \cdot r}\) ein, dann folgt:

\[ \begin{align} E_{\rm{ges}}(r_n) &= - \frac{e^2}{8 \cdot \pi \cdot \varepsilon_0 \cdot r_n} \\ E_{\rm{ges}}(r_n) &= - \frac{e^2}{8 \cdot \pi \cdot \varepsilon_0 \cdot \left( \frac{n^2 \cdot h^2 \cdot \varepsilon_0}{\pi \cdot m_e \cdot e^2} \right)} \\ E_{\rm{ges}}(r_n) &= - \frac{e^4 \cdot m_e}{8 \cdot \varepsilon_0^2 \cdot n^2 \cdot h^2} \\ E_{\rm{ges}}(n) &= - 13,58 \, \rm{eV} \cdot \frac{1}{n^2} \end{align}\]

Die mit dieser Formel berechneten Werte stimmen mit den experimentellen Werten aus den Linienspektren des Wasserstoffatoms überein. Wenn man für \(n\) den Wert 1 einsetzt, dann ist die Energie des Elektrons im Grundzustand \(E_1 = - 13,58 \, \rm{eV}\), was genau der Ionisierungsenergie von Wasserstoff entspricht, also der Energie, die man aufbringen muss, um das Elektron aus dem Atom zu entfernen. Streng genommen ist dieser Zustand nur dann erreicht, wenn das Elektron unendlich weit vom Proton entfernt wurde. In der praktischen Physik nimmt man natürlich eine endliche Entfernung an, ab welcher die Wechselwirkung zwischen Elektron und Proton vernachlässigt werden kann.

Simulation in neuem Fenster öffnen: Wasserstoff-Serien

Mit Hilfe der Bohrschen Postulate kann man die Energiezustände in einem Wasserstoffatom modellieren und die vom Wasserstoff ausgesandten Photonen zutreffend vorhersagen. Auch wird die notwendige Energie korrekt vorhergesagt, die man einem Wasserstoffatom zuführen muss, um dieses zu ionisieren.

Das Bohrsche Atommodell hat aber nach wie vor erhebliche Schwächen:

  • die Theorie ist nichtrelativistisch, scheitert also für sehr hohe Energien,
  • sie bietet kein Verfahren an, mit welchem die Intensität der Spektrallinien modelliert werden könnte,
  • Atome mit mehr als einem Elektron können nicht modelliert werden,
  • Bindungen zwischen Atomen in Molekülen, Flüssigkeiten und Festkörpern können nicht erklärt werden,
  • Hochauflösende Spektrographen zeigen, dass jede Wasserstofflinie in weitere Linien aufgeteilt werden kann (Feinstruktur). Diese Feinstruktur kann nicht erklärt werden.

Das halbklassische Bohrsche Modell scheitert an der Modellierung der Realität. Es wurde historisch auch nach kurzer Zeit von Schrödinger und Heisenberg durch ein quantentheoretischen Modell ersetzt. Das quantentheoretische Modell lässt uns in der Schule schnell Modellierungsgrenzen erreichen, da die Schulmathematik nicht ausreichend Werkzeuge bereitstellt. Sie werden im nächsten Kapitel ein vereinfachtes und weitgehend mathematikbefreites quantentheoretisches Modell kennenlernen, um eine Idee zu bekommen, wie man Atome modelliert. Alles weitere folgt bei Interesse an der Uni.