5.3 Quantenmechanisches Modell


Bezug zum Kerncurriculum:

  • Ich kann die Quantisierung der Gesamtenergie von Elektronen in der Atomhülle erläutern
  • Ich kann die Gleichung für die Gesamtenergie eines Elektrons in diesem Modell nennen.
  • Ich kann dazu das Modell vom eindimensionalen Potenzialtopf mit unendlich hohen Wänden anwenden.
  • eA: Ich kann die Gleichung für die Gesamtenergie eines Elektrons in diesem Modell herleiten.
  • gA: Ich kann die Aussagekraft und die Grenzen dieses Modells beschreiben.
  • eA: Ich kann die Aussagekraft und die Grenzen dieses Modells auch unter Berücksichtigung der Unbestimmtheitsrelation beschreiben.

Im Thema "Quantenobjekte" haben Sie folgende Modelle zur Modellierung von Quantenobjekten kennengelernt:

  1. Wellen-Modell: Wenn die Ausbreitung von Quantenobjekten ohne eine Welcher-Weg-Messung erfolgt, dann beobachtet man bei einer Messung eine Wahrscheinlichkeitsverteilung, die erfolgreich mit einem geeigneten Wellenmodell modelliert werden kann.
  2. Teilchen-Modell: Bei einer Wechselwirkung von einem Quantenobjekt mit einem anderen Quantenobjekt kann den beteiligten Quantenobjekten ein bestimmter Impuls, eine bestimmte Energie, eine bestimmte Masse,... zugeordnet werden. Die Wechselwirkung kann erfolgreich mit einem geeigneten Teilchenmodell modelliert werden.
  3. stochastisches Modell (Zufall): Wenn ein Experiment mit einem einzelnen Quantenobjekten ohne eine Welcher-Weg-Messung durchgeführt wird, dann kann man nicht vorhersagen, wo das einzelne Quantenobjekt von einem Detektor detektiert werden wird und welchen Impuls das gemessene Quantenobjekt haben wird. Bei gleicher Ausführung eines Experiments misst man innerhalb eines Wertebereichs zufällige Wechselwirkungsorte und zufällige Impulse.
  4. Welcher-Weg-Modell: Wenn man in ein Experiment einen aktiven Welcher-Weg-Detektor einbaut, dann verschwindet die Superposition der Wahrscheinlichkeitswellen und damit die Verteilung der möglichen Messdaten. Die mögliche Messung der "Welcher-Weg-Information" ändert den Ausgang des Experiments.
  5. Unbestimmtheitsrelation: Komplementäre Messgrößen können nicht gleichzeitig beliebig genau gemessen werden. Beim Entwurf eines Experiments muss man sich entscheiden, welche Messgrößen man mit welcher Genauigkeit messen möchte.

In diesem Kapitel modellieren wir das denkbar einfachste Atom: das Wasserstoffatom, das aus einem Elektron und einem Proton besteht. In der klassischen Physik wird die Kraft zwischen dem Elektron und dem Proton als Coulomb-Kraft modelliert, die quadratisch mit zunehmendem Abstand kleiner wird. Die Ursache der Coulombkraft ist in der klassischen Physik unbekannt.

Im quantentheoretischen Atommodell geht man davon aus, dass das Elektron nicht als kleine Kugel das Proton umkreist. Das Elektron modelliert man mit Hilfe von Wahrscheinlichkeitswellen. Mit Hilfe der Wahrscheinlichkeitswelle kann man berechnen, mit welcher Wahrscheinlichkeit man ein Elektron an einem bestimmten Ort in der Atomhülle mit bestimmten Eigenschaften messen wird. Vor der Messung ist der Zustand des Elektrons unbestimmt. Diese Modellierung wird Ihnen in diesem Kapitel vorgestellt.

In einem ersten Schritt modellieren wir ein Wasserstoffatom mit einem denkbar einfachsten Aufbau:

  • Das Proton erzeugt einen Aufenthaltsbereich für das Elektron, welchen das Elektron nicht verlassen kann. In einem Wasserstoffatom ist dieser Bereich etwa \(L = 240 \cdot 10^{-12} \, \rm{m}\) groß.
  • Der mögliche Aufenthaltsbereich des Elektrons innerhalb dieses erlaubten Bereichs erstreckt sich eindimensional in einer Raumrichtung und nicht wie bei einem realen Atom in drei Raumrichtungen.
  • Dem Elektron wird eine Wellenfunktion \(\Psi\) zugeordnet. Das Quadrat des Betrags der Wellenfunktion \(|\Psi|^2\) liefert die Wahrscheinlichkeitsdichte, das Elektron bei einer Wechselwirkung an einem bestimmten Ort zu messen.
  • Das Innere des Aufenthaltsbereichs denken wir uns kräftefrei, so dass sich der Impuls und damit die Wellenlänge der Wellenfunktion des Elektrons im Lauf der Zeit nicht ändert.
  • Dieses gedachte Gebilde nennen wir eindimensionalen Potenzialtopf.

Die experimentellen Beobachtungen zeigen, dass das Wasserstoffatom nur ganz bestimmte Photonen emittiert und absorbiert. Deswegen darf das Elektron im Wasserstoffatom nur ganz bestimmte Energien haben. Eine erlaubte Energie im Wasserstoffatom nennen wir ein Energieniveau. Ein Photon wird emittiert, wenn das Elektron von einem erlaubten Energieniveau zu einem anderen erlaubten Energieniveau wechselt. Die Energiedifferenz der beiden Energieniveaus entspricht der Energie des emittierten Photons.

Im quantentheoretischen Atommodell modelliert man ein erlaubtes Energieniveau für das Elektron wie folgt:

  • man sucht eine Wellenfunktion, die sich über die gesamte Länge des Potenzialtopfes erstreckt.
  • an den Rändern des Potenzialtopfes muss die Wellenfunktion einen Knoten haben, da am Rand die Aufenthaltswahrscheinlichkeit Null ist. Das Elektron darf das Atom ja nicht verlassen.
  • Im denkbar einfachsten Fall denken wir uns ein Elektron mit einem bestimmten Impuls, so dass das Elektron mit einer Sinusfunktion dargestellt werden kann. Das ist wegen der Heisenbergschen Unbestimmtheitsrelation unrealistisch, aber wir fangen auch mit dem einfachst denkbaren Modell an.

In der folgenden Simulation können Sie diese Überlegungen nachvollziehen und Folgerungen daraus erproben:

Wir betrachten einen eindimensionalen Potenzialtopf mit der Breite \(L\). Erlaubte Energieniveaus für ein Elektron im eindimensionalen Potenzialtopf sind solche, bei welchen die dem Elektron zugeordnete Wahrscheinlichkeitswelle mit der Wellenlänge \(\lambda\) eine stehende Welle ausbildet, die am Rand jeweils einen Knoten hat.

Dem Energieniveau mit der geringsten Energie wird die Hauptquantenzahl \(n = 1\) zugeordnet. Die Bedingung für eine zulässige Wellenfunktion mit der Wellenlänge \(\lambda\) in einem eindimensionalen Potenzialtopf der Länge \(L\) ist:

\[ L = n \cdot \frac{\lambda}{2}\]

oder

\[ \lambda = 2 \cdot \frac{L}{n}\]

Anmerkung:

Bedenken Sie immer: die Wellenfunktionen sind nicht die Elektronen. Die Wellenfunktionen sind abstrakt und ermöglichen es, die Wahrscheinlichkeit zu modellieren, ein Elektron an einem bestimmten Ort, mit einem bestimmten Impuls zu messen. Vor einer Messung können wir keine Aussage über den Zustand des Elektrons machen.

Für die Wellenfunktionen im eindimensionalen Potenzialtopf sind nur bestimmte Werte erlaubt. Deswegen sind auch nur bestimmte Werte für den Impuls \(p\) möglich. Nach de-Broglie gilt für den Impuls eines Elektrons: \(p = \frac{h}{\lambda}\). Ersetzt man die Wellenlänge \(\lambda\) mit der rechten Seite der Gleichung \(\lambda = 2 \cdot \frac{L}{n}\), folgt für die erlaubten Impulswerte:

\[ p = \frac{h}{\lambda} = \frac{h \cdot n}{2 \cdot L}\]

Wir denken uns den eindimensionalen Potenzialtopf im einfachsten Fall ohne eine wirkende Kraft, so dass die potenzielle Energie Null ist. Die Gesamtenergie des Elektrons ist damit nur seine kinetische Energie. Mit \(p = m \cdot v\) gilt:

\[ \begin{align} E_\text{kin} &= \frac{1}{2} \cdot m_e \cdot v^2 \\ &= \frac{1}{2} \cdot \frac{m_e^2 \cdot v^2}{m_e} \\ &= \frac{p^2}{2 \cdot m_e} \\ &= \frac{\left( \frac{h \cdot n}{2 \cdot L} \right)^2}{2 \cdot m_e} \\ &= \frac{h^2}{8 \cdot m_e \cdot L^2} \cdot n^2 \end{align} \]

Damit gilt für die erlaubten Energieniveaus in einem eindimensionalen Potenzialtopf der Länge \(L\) abhängig von der Hauptquantenzahl \(n\):

\[ E_\text{n} = \frac{h^2}{8 \cdot m_e \cdot L^2} \cdot n^2\]

Mit \(h\) = Plancksches Wirkungsquantum, \(m_e\) = Elektronenmasse, \(L\) = Breite des Potenzialtopfs, \(n\) = Hauptquantenzahl.

Nur Energiewerte, die zu stehenden Wellen gehören, sind erlaubt. Wenn man geeignete Werte in die Formel einsetzt, kann man die Energieniveaus mit den Energieniveaus der Experimente vergleichen. Es sei \(L = 240 \cdot 10^{-12} \, \rm{m}\), also der Wert des Van-der-Waals-Durchmessers eines Wasserstoffatoms.

\[ \begin{align} E_\rm{n} &= \frac{h^2}{8 \cdot m_e \cdot L^2} \cdot n^2 \\ &= \frac{(6,62607 \cdot 10^{-34} \, \rm{Js})^2}{8 \cdot 9,109384 \cdot 10^{-31} \, \rm{kg} \cdot (240 \cdot 10^{-12} \, \rm{m})^2} \cdot n^2 \end{align} \]

Für \(n = 1\) folgt \(E_1 = 1,04595 \cdot 10^{-18} \, \rm{J} = 6,5 \, \rm{eV}\) was in der Größenordnung der experimentellen Energieniveaus (\(13,6 \, \rm{eV}\)) liegt. Das extrem vereinfachte Modell des eindimensionalen Potenzialtopfs liefert bereits sinnvolle Energieniveaus.

Die reale Welt ist dreidimensional. Auf dem Weg zu einer dreidimensionalen Modellierung betrachten wir Wellenfunktionen in einem zweidimensionalen Potenzialtopf. Alle anderen Vereinfachungen bleiben ansonsten bestehen. Wenn in zwei Dimensionen der Potenzialtopf nicht symmetrisch ist, dann können in x- und y-Richtung die Wellenfunktionen unterschiedlich eingebaut werden, so dass stehende Wellen entstehen. Die Vielfalt möglicher erlaubter Energieniveaus nimmt zu.

In der folgenden Simulation können Sie die Modellierung eines zweidimensionalen Potenzialtopfs nachvollziehen und Folgerungen daraus erproben. In einem zweidimensionalen Potenzialtopf kann man stehende Wellen in zwei Dimensionen einspannen, so dass am Rand jeweils ein Knoten ist. Auch kann man sich den Potenzialtopf quadratisch oder rechteckig denken.

Ein reales Wasserstoffatom existiert in drei Dimensionen. Es muss ein dreidimensionales Potenzial in der Modellierung betrachtet werden, das sich mit der Entfernung zum Proton ändert. Elektronen haben auch weitere Eigenschaften wie z.B. einen Spin, die berücksichtigt werden müssen. Sie können jetzt vielleicht nachvollziehen, dass einige Jahre Studium an der Universität notwendig sind, bevor man in der Lage ist, die Modellierung realer atomarer Situationen nachzuvollziehen.

Bernd Thaller von der Universität Graz hat Visualisierungen von dreidimensionalen Wellenfunktionen eines Wasserstoffatoms erstellt:

Visualisierung eines Wasserstoffatoms.

Auf der Seite falstad.com finden Sie ein Applet zum Wasserstoffatom, mit dem Sie 3D-Wellenfunktionen interaktiv beobachten können:

3D-Wellenfunktionen eines Wasserstoffatoms

Wasserstoffatome (\(\rm{H}\)) können sich zu einem Wasserstoffmolekül (\(\rm{H}_2\)) verbinden. Die atomaren Wellenfunktionen überlagern sich dann zu Molekülwellenfunktionen. In der folgenden Simulation können Sie die Überlagerung mehrerer Wellenfunktionen im vereinfachten Modell des linearen Potenzialtopfs beobachten.

Beachten Sie wieder, dass positive Aufenthaltswahrscheinlichkeiten durch Überlagerung kleiner werden können, bis hin zur Auslöschung (Nullamplitude). Hier sehen Sie wieder die Notwendigkeit komplexe Phasen einzuführen, denn sonst könnten positive Wahrscheinlichkeiten nicht zu Null interferieren.

In einem neuen Fenster starten: Wellenfunktionen im Potenzialtopf

Bereits stark vereinfachte resultierende Wellenfunktionen im Modell des eindimensionalen Potenzialtopfs können beliebig komplex werden. Stellen Sie sich Wellenfunktionen vor, mit welchen reale dreidimensionale Atome modelliert werden!

Auch wenn das quantenmechanische Atommodell einen Durchbruch bei der Beschreibung der atomaren Welt bedeutete, ist es inzwischen ein historisches Atommodell, so wie das Rutherfordsche oder Bohrsche Atommodell. Je nach Situation können nach dem Korrespondenzprinzip diese historischen Modelle verwendet werden, um bestimmte Phänomene zu modellieren, jedoch scheitert auch das quantenmechanische Modell bei der Modellierung von experimentellen Erkenntnissen, die z.B. beim Beschleuniger im Forschungszentrum CERN gewonnen wurden:

  • relativistische Effekte bei großen Energien werden nicht berücksichtigt
  • Atome mit vielen Elektronen lassen sich nur angenähert mit numerischen Methoden modellieren
  • die Vielfalt der Quantenobjekte, die am CERN gefunden werden, lässt sich nicht modellieren
  • die Vakuumquantenfluktuation lässt sich nicht modellieren
  • ...

Das aktuelle Modell ist die Quantenfeldtheorie mit dem Namen Standardmodell der Elementarteilchenphysik. In der Quantenfeldtheorie modelliert man die Kraft zwischen dem Elektron und dem Proton mit dem ständigen Austausch von Photonen. Ein Photon wird deswegen auch Austauschboson der elektromagnetischen Wechselwirkung genannt. Wir unterscheiden

  • virtuelle Photonen, welche zwischen dem Elektron und Proton ausgetauscht werden. Die virtuellen Photonen vermitteln die elektromagnetische Anziehungskraft und können nicht beobachtet werden.
  • optische Photonen, welche vom Elektron des Wasserstoffatoms emittiert oder absorbiert werden. Die optischen Photonen werden mit der Umgebung ausgetauscht und können beobachtet werden.

In der Quantenfeldtheorie wird davon ausgegangen, dass alle denkbaren Wechselwirkungen zwischen den Quantenobjekten auch beobachtet werden können. Allerdings unterscheiden sich die Wahrscheinlichkeiten für bestimmte Wechselwirkungen deutlich. Mit diesem Ansatz ist es möglich, deutlich komplexere Situationen zu modellieren und die beobachteten Messergebnisse mit einer erstaunlichen Genauigkeit vorherzusagen.