In den letzten Kapiteln haben Sie folgende Modelle zur Modellierung von Quantenobjekten kennengelernt:
- Wellen-Modell: Wenn die Ausbreitung von Quantenobjekten ohne eine Welcher-Weg-Messung erfolgt, dann beobachtet man bei einer Messung eine Wahrscheinlichkeitsverteilung, die erfolgreich mit einem geeigneten Wellenmodell modelliert werden kann.
- Teilchen-Modell: Bei einer Wechselwirkung von einem Quantenobjekt mit einem anderen Quantenobjekt kann den beteiligten Quantenobjekten ein bestimmter Impuls, eine bestimmte Energie, eine bestimmte Masse,... zugeordnet werden. Die Wechselwirkung kann erfolgreich mit einem geeigneten Teilchenmodell modelliert werden.
- stochastisches Modell (Zufall): Wenn ein Experiment mit einem einzelnen Quantenobjekten ohne eine Welcher-Weg-Messung durchgeführt wird, dann kann man nicht vorhersagen, wo das einzelne Quantenobjekt von einem Detektor detektiert werden wird und welchen Impuls das gemessene Quantenobjekt haben wird. Bei gleicher Ausführung eines Experiments misst man innerhalb eines Wertebereichs zufällige Wechselwirkungsorte und zufällige Impulse.
- Welcher-Weg-Modell: Wenn man in ein Experiment einen aktiven Welcher-Weg-Detektor einbaut, dann verschwindet die Superposition der Wahrscheinlichkeitswellen und damit die Verteilung der möglichen Messdaten. Die mögliche Messung der "Welcher-Weg-Information" ändert den Ausgang des Experiments.
- Unbestimmtheitsrelation: Komplementäre Messgrößen können nicht gleichzeitig beliebig genau gemessen werden. Beim Entwurf eines Experiments muss man sich entscheiden, welche Messgrößen man mit welcher Genauigkeit messen möchte.
In diesem Kapitel sollen Sie die quantenphysikalische Modellierung von Quantenobjekten etwas vertiefter kennenlernen. Wir beginnen mit einem Gedankenexperiment:
Teil 1: Licht als elektromagnetische Welle
Eine LED aus dem Optik-Kasten wird in einem abgedunkelten Raum geradlinig auf eine Wand gerichtet. Die Wand ist in der Mitte am hellsten und die Helligkeit nimmt nach außen hin ab. Wenn der Abstand LED-Schirm vergrößert wird, ist die Wand auf der Höhe der LED immer noch am hellsten, aber die Gesamtintensität verteilt sich auf eine größere Fläche, so dass die Lichtenergie pro Fläche immer kleiner wird, je größer die Entfernung LED-Schirm ist. Im klassischen Wellenmodell von Licht als elektromagnetische Welle konnten wir die Beobachtung so modellieren, dass sich Elementarwellen von der LED aus kugelförmig im Raum ausbreiten. Da sich die Intensität einer Welle auf eine immer größere Kugelfläche verteilt, nimmt die Intensität nach außen hin ab.
Teil 2: Licht als Photonen
Wir denken uns eine Ein-Photonen-Quelle als Lichtquelle, die geradlinig auf eine Wand gerichtet ist. Ein ausgesandtes Photon wird immer an genau einer Stelle auf der Wand wechselwirken. Wenn man eine lange Zeit sehr viele Photonen auf die Wand schickt, beobachtet man, dass auf Höhe der Photonenquelle mehr Photonen wechselwirken werden, als weiter außen auf der Wand. Wenn der Abstand Quelle-Wand vergrößert wird, beobachtet man, dass die Fläche größer wird, auf welcher Wechselwirkungen stattfinden. Im quantenphysikalischen Modell ordnen wir jedem möglichen Weg von der Photonenquelle zum Schirm eine Wahrscheinlichkeitswelle zu. Wenn keine Welcher-Weg-Messung zwischen Quelle und Schirm stattfindet, befinden sich die Wahrscheinlichkeitswellen in Superposition. Die Auswertung der Superposition an einer bestimmten Stelle auf der Wand liefert eine Wahrscheinlichkeit, dass ein Photon mit dieser Stelle wechselwirkt. Wo die Wechselwirkung eines Photons stattfinden wird, ist zufällig und kann nicht vorhergesagt werden.
Teil 3: Elektronen ohne Welcher-Weg-Messung
Wir denken uns eine lange Vakuumröhre mit einer Elektronenstrahlquelle und einem Leuchtschirm am Ende der Vakuumröhre. Auf Höhe der Elektronenquelle beobachtet man auf dem Leuchtschirm die meisten Wechselwirkungen eines Elektron mit dem Schirm. Je weiter man sich von der Schirmmitte entfernt, desto weniger Elektronen wird man detektieren. Wo ein Elektron auf dem Schirm wechselwirkt ist zufällig und kann nicht vorhergesagt werden. Im quantenphysikalischen Modell ordnen wir jedem möglichen Weg von der Elektronenquelle zum Schirm eine Wahrscheinlichkeitswelle zu. Wenn keine Welcher-Weg-Messung zwischen Quelle und Schirm stattfindet, befinden sich die Wahrscheinlichkeitswellen in Superposition. Die Auswertung der Superposition an einer bestimmten Stelle des Schirms liefert eine Wahrscheinlichkeit, dass ein Elektron mit dieser Stelle wechselwirkt. Wo die Wechselwirkung eines Elektrons stattfinden wird, ist zufällig und kann nicht vorhergesagt werden.
Teil 4: Elektronen mit Welcher-Weg-Messung
Wir stellen in den Weg zwischen Elektronenquelle und Schirm einen Welcher-Weg-Detektor, indem wir z.B. die Elektronen seitlich mit Photonen bestrahlen und Detektoren um den Strahl positionieren, welche die gestreuten Photonen detektieren können. Sobald ein Photon mit einem Elektron im Bereich des Welcher-Weg-Detektors wechselgewirkt hat, kollabiert die Superposition der Wahrscheinlichkeitswellen, welche dem Elektron zugeordnet sind und das Elektron wird an einem zufälligen Ort und mit einem zufälligen Impuls gemessen. Die Vielfalt der möglichen Orte und Impulse hängt vom Aufbau des Experiments ab. Sobald der Impuls und der Ort des Elektrons gemessen sind, ist die Bahn des Elektrons für eine kuze Zeit bestimmt. Nach einer gewissen Zeit ohne Welcher-Weg-Messung bildet sich wieder eine Superposition der Wahrscheinlichkeitswellen aller möglichen Wege des Elektrons zum Schirm und die Bahn des Elektrons wird wieder unbestimmt.